Missbrauchsskandal im Bistum Augsburg

"Wir brauchen nach 15 Jahren keine Bitte um Verzeihung mehr"

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Aktenberge (Symbolbild)
Aktenberge

Ein stetiges Verharmlosen und Wegschauen – das attestiert die Unabhängige Aufarbeitungskommission Augsburg dem Bistum Augsburg in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie zum Umgang mit sexueller Gewalt an Minderjährigen durch Kirchenleute. Bischof Bertram Meier zeigte sich von den Ergebnissen "entsetzt", die Kommission empfiehlt Präventionsarbeit und Betroffenenfürsorge. Doch all diese Maßnahmen bleiben Makulatur, solange die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals allein in den Händen der Kirche liegt, sagt David Farago von der Giordano-Bruno-Stiftung. Er fordert, dass staatliche Ermittler die Sache übernehmen.

Nach 15 Jahren Missbrauchsskandal in den Kirchen sorgte die jüngste Studie aus dem Bistum Augsburg kaum noch für Überraschungen. Was die Unabhängige Aufarbeitungskommission des Bistums an Daten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Bistumsangehörige zusammengetragen hat, füllt über 200 Seiten.

Insgesamt listet der Ende Oktober vorgelegte Bericht 193 Fälle aus der Zeit von 1948 bis heute. Neben Vergewaltigung und sexueller Belästigung geht es auch um Grenzüberschreitungen wie gemeinsames nacktes Duschen mit Jugendlichen oder Eindringen in die Umkleiden von Messdienern.

Die 2022 begonnene Auswertung versteht sich als Vertiefung der 2018 veröffentlichten MHG-Studie mit dem Ziel, Verantwortlichkeiten auf Ebene der Bistumsleitung herauszuarbeiten. Verantwortlich zeichnen drei ehemalige Richter, eine Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine Theologin. Vorsitzender der Kommission ist der ehemalige Präsident des Augsburger Sozialgerichts Herbert Paul. Das Fazit ihrer knapp dreijährigen Arbeit ist ernüchternd. Zwar seien die Augsburger Bischöfe nie persönlich als Missbrauchstäter in Erscheinung getreten. Dennoch hätten sie sich durch Wegschauen und Herunterspielen der Fälle schuldig gemacht.

So sind für die Amtszeit von Bischof Walter Mixa (2005–2010) insgesamt 17 Missbrauchsfälle bekannt, ein Drittel davon zog keine angemessenen Konsequenzen nach sich. Unter Mixas Nachfolger Konrad Zdarsa (Bischof von 2010 bis 2019) blieben nur 5,9 Prozent der Fälle ohne angemessene Reaktion des Bistums. Besonders erschreckend fällt die Bilanz der frühen Jahre aus. In den Amtszeiten von Joseph Freundorfer, Josef Stimpfle und Viktor Josef Dammertz blieben im Durchschnitt über die Hälfte der Fälle ohne Konsequenzen. Es herrschte ein "kollektives Schweigen", wie der Kommissionsvorsitzende Herbert Paul resümiert.

Für den künftigen Umgang mit sexualisierter Gewalt hat die Aufarbeitungskommission eine Liste von konkreten Empfehlungen vorgelegt, darunter Stärkung der Prävention, Betroffenenfürsorge und konsequentes Handeln gegenüber Beschuldigten und Tätern. Der amtierende Augsburger Bischof Bertram Meier äußerte sich nach eigenen Worten "entsetzt" über das Versagen der Verantwortlichen. "Ich möchte sagen, wie tief auch ich diese Schuld empfinde", zitiert die Süddeutsche Zeitung den Kirchenmann.

Nur ein Weg zur objektiven Aufarbeitung

Entsetzensbekundungen und ein Bischof, der Betroffene um Verzeihung bittet – all das steht regelmäßig auf der Tagesordnung, seit der Sumpf von sexueller Gewalt in den Kirchen 2010 erstmals an die Öffentlichkeit gelangte. Doch damit ist es nicht getan. "Wir brauchen nach 15 Jahren keine Bitten um Verzeihung mehr", sagt David Farago, der für die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) mit Kunstaktionen die Missachtung von Betroffenen kirchlichen Missbrauchs anprangert. Statt Beschwichtigungsstrategien brauche es klare Maßnahmen.

Es fange schon damit an, dass die Augsburger Veröffentlichung zwar allerorts als "Studie" bezeichnet würde. Doch für eine wissenschaftliche Studie hätten die Autoren ungehinderten Zugang zu allen Archiven benötigt. Das sei laut Farago nicht gewährleistet. Zudem ließe sich nicht ausschließen, dass Akten vernichtet worden seien – wie man es aus anderen Bistümern wisse. Weiterhin gibt Farago zu bedenken, dass die Veröffentlichung unvollständig sei. Nicht alle Fälle seien berücksichtigt worden. Zudem sei zu bezweifeln, dass die Macher der Studie der Kirche neutral gegenüberstünden.

Nach Faragos Einschätzung gebe es nur einen Weg zu einer objektiven Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals: die Ermittlungen komplett staatlichen Kräften zu übergeben. Diese müssten Zugang zu den Archiven aller Bistümer erhalten.

Außerdem mahnt er umfassende Reformen bei Strafgesetzen an. So könne es nicht sein, dass Straftaten verjährten, bei denen die Opfer lebenslange Folgen davontrügen. Dies würde nicht nur die besondere Situation der – zur Tatzeit meist kindlichen oder jugendlichen – Opfer von klerikalem Missbrauch berücksichtigen, sondern beispielsweise auch Unfallopfern zugutekommen.

Darüber hinaus fordert Farago Strafen für hochrangige Kirchenleute, die Verdächtige und Missbrauchstäter schützen. In vielen Fällen wurden die Betreffenden lediglich in andere Gemeinden, teilweise sogar in andere Länder versetzt – wo sie in einigen Fällen ihre Straftaten fortsetzten. Hierfür hätten Bischöfe und andere Entscheider nach gegenwärtiger Gesetzeslage keine Strafen zu befürchten. Das müsse sich ändern, fordert Farago. "Mitwisser oder Vorgesetzte, die von priesterlichem Missbrauch wissen und den Verdächtigen durch Versetzung schützen, sollten bestraft werden."

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